Den toten Winkel kennt jetzt jedes Kind

Tina 24.07.2019

Artikel in der Tina vom 24.07.2019
Selbst die Lehrerin war überrascht, wie groß der uneinsehbare Bereich bei Lkw ist. Zum Glück wissen die Schüler jetzt auch Bescheid.
Foto: Gunnar Geller

Heiligenstedten

Der Adler ist der Albtraum für Eltern und Kinder in Heiligenstedten (Schleswig-Holstein). Am Adler heißt der Kreisverkehr in Itzehoe, den die Schüler der 4. Klassen nach den Sommerferien täglich zweimal heil passieren müssen.

Fast jedes Jahr war genau dieser Kreisel auf Platz Eins der schleswig-holsteinischen Unfallstatistik. Eine Bundesstraße führt darüber, es gibt fünf unübersichtliche Ein- und Ausfahrten, 45 Verkehrsschilder sind dort für täglich bis zu 25.000 Fahrzeuge jeder Art verbaut. Wer soll da noch durchblicken? Zehnjährige auf ihren Fahrrädern?

Diese Sorge trieb auch Familie Lindschau um. Ihr Sohn Jannis (10) hat gerade erfolgreich die 4. Klasse der Julianka-Grundschule absolviert. Nach den Ferien soll er in Itzehoe weiter lernen. Mama Andrea (47) und Papa Matthias Lindschau (50) haben eine Spedition mit zehn Lkw. Sie wissen, was Jannis im Straßenverkehr erwartet, nicht nur Am Adler.

Schon bisher fuhr der Junge mit dem Rad zur Schule,
 außer bei Wind und Wetter.
 Aber in der Familie wird tina gelesen. Immer wieder haben wir über die Gefahren für Radfahrer im Straßenverkehr berichtet.
 Und im Februar auch tina-Leserin Silke Warnecke (59) vorgestellt, die ehrenamtlich
 bei der Kreisverkehrswacht Rendsburg Schüler für den Straßenverkehr fit macht.

Die Lindschaus nahmen Kontakt mit
 Frau Warnecke auf und verabredeten eine 
tolle Aktion: Kurz vor den Ferien fanden für
 die 4. Klassen der Julianka-Schule Fahrrad-
Führerschein-Prüfungen statt. Davor ließ
 Papa Lindschau einen seiner Lkw auf den 
Schulhof fahren, und Silke Warnecke und 
ihr Mann Thomas (59), die eine Fahrschule 
haben, zeigten den Schülern daran, wo die 
Gefahren im toten Winkel lauern.

Vor, hinter und vor allem links und rechts des 500-PS-Fahrzeugs wurden Planen ausgelegt, die den toten Winkel markieren. Die Schulklassen stellten sich darauf. Nacheinander kletterten die Kinder ins Fahrerhaus und sahen, dass sie nichts sahen. Es war für sie natürlich „voll cool“, hinter dem Lenkrad sein zu dürfen. Aber auch ein bisschen erschreckend, weil sie ihre Mitschüler von dort oben nicht sehen konnten. „Krass, das ist mir auch neu“, meinte selbst die Lehrerin. Und Papa Lindschau sagte: „Man kann das ewig predigen, aber so eine Demonstration ist doch gleich etwas ganz anderes.“

Die Zahl der getöteten Radfahrer ist 2018 um fast 17 Prozent gewachsen, zählte das Statistische Bundesamt. Alle halbe Stunde wird ein Mensch beim Radfahren schwer verletzt. Viele verunglücken im toten Winkel von Lkw. „Wenn wir mit unserer Schulung nur ein Kind erreichen, haben wir schon viel gewonnen“, sagen Warneckes.

Der Adler soll umgebaut werden. Nicht zum ersten Mal. Geholfen hat es nie.

Andreas Juhnke