Im Kartoffelzug in die Heimat

Norddeutsche Rundschau 12.11.2013

Geschichtsunterricht aus erster Hand: Kleverin berichtet in Heiligenstedten Drittklässlern von einer abenteuerlichen Reise mit glücklichem Ende. Die Juliankaschüler waren beeindruckt.

Artikel in der Norddeutschen Rundschau vom 12.11.2013
In der Juliankaschule: Autorin Waltraud Kaiser inmitten der wissbegierigen Zuhörer. Foto: we

Heiligenstedten

Im Musikraum der Julianka-Schule in Heiligenstedten herrscht gespannte Stille. Die Drittklässler lauschen aufmerksam dem Bericht von Autorin Waltraud Kaiser, die aus ihrem Buch ,,Der Weg nach Hause“ berichtet.,,In höheren Klassen, wie zum Beispiel in der vorhergehenden Stunde mit den Viertklässlern, lese ich viele Passagen aus meinem Buch vor, bei den Kindern aus der dritten Klasse ist die freie Erzählform angebrachter“, sagt die gebürtige Berlinerin, die heute in Kleve zu Hause ist. Waltraud Kaiser berichtet in ihrem Buch, wie sie selbst im Vorwort vermerkt, ,,über Erlebnisse und Gedanken, wie sie damals von einem 15-jährigen Mädchen erlebt und empfunden wurden“.

Die heute 83-Jährige wurde 1944 gemeinsam mit ihrer gesamten Schule wegen der zunehmenden Bombenangriffe von Berlin aus evakuiert und in einem Kinderlandverschickungslager in der Tschechoslowakei untergebracht. Tröstlich für die damals 14-Jährige war die Anwesenheit ihrer etwas jüngeren Cousine Renate. Im April 1945 mussten die Mädchen ihr nun schon vertrautes Zuhause verlassen, denn die russischen Soldaten befanden sich bereits in Mähren. Für die beiden Mädchen Waltraud und Renate begann eine wahre Odyssee, zunächst noch im Klassenverband, später dann ganz auf sich allein gestellt.

„Aber“, so betont die Autorin in ihrer spannenden Erzählung, ,,Wir haben in dieser bösen und schlimmen Zeit immer wieder hilfsbereite Menschen gefunden, die uns weiter geholfen haben.“

„Wir wollten einfach nur zurück nach Berlin, für unsere Verpflegung haben wir während unserer Wanderung auf Höfen und Feldern gearbeitet, Kühe gemolken, Hühner versorgt oder im Haushalt geholfen.“ Der Bericht schildert, anschaulich dokumentiert mit schlichten und doch eindrucksvollen von der Autorin selbst gefertigten Illustrationen, den Weg der beiden jungen Berlinerinnen, die damals kaum älter waren als die heutigen Zuhörer.

Für die Drittklässler waren zur Freude der Autorin Begriffe wie ,,Garben“ oder auch ,,Rüben verziehen“ keine Fremdwörter, denn gerade wurde im Heimat- und Sachunterricht das Thema ,,Früher und heute“ durchgenommen.

Mit Spannung aber auch Erleichterung wurde das glückliche Ende der Geschichte aufgenommen, in der geschildert wird, wie Waltraud und Renate in einem mit Kartoffeln beladenen Güterzug letztendlich der Weg durch die russischen Kontrollen nach Lichterfelde-West gelungen ist. ,,Unsere Familien lebten, das war das Wichtigste, und auch der Schulbetrieb konnte langsam wieder aufgenommen werden“, schloss die Autorin ihren Bericht. Anschließend hatten die Schüler und Schülerinnen viele Fragen, die von der Autorin gerne beantwortet wurden.

„Eigentlich“, so verriet sie später, habe sie das Buch noch in Berlin geschrieben, es aber erst hier in Schleswig-Holstein einem Verlag übergeben. Nach Schleswig-Holstein sind die ausgebildete Textil-Laborantin und Ehemann Theo durch ihr gemeinsames Segel-Hobby gekommen. ,,Wir haben uns hier immer wohl gefühlt und sind nach unserer Pensionierung zunächst nach Bendorf und später dann nach Kleve gezogen. Wir fühlen uns hier, so nah an Nord- und Ostsee, sehr wohl.“ Schulleiterin Constanze Reimers dankte der Autorin für zwei interessante Stunden und überreichte als kleines Dankeschön einen Blumenstrauß.